Die Zapatisten und die Andere Kampagne: Die Fußgänger der Geschichte IV
Teil IV: Zwei Fußgänger auf verschiedenen Wegen . . . und mit verschiedenen Zielen.
Von Subcomandante Insurgente Marcos
Übersetzt durch Narco News
26. September 2006
1. – Die „Wesensart“ eines Anführers.
Die Abneigung des „Präsidentengespanns“ gegen López Obrador wurde größer je weiter die Kandidatur des Politikers aus Tabasco voranschritt. Mit seinen frühmorgendlichen Konferenzen (und die ausführliche Berichterstattung, die ihm die Massenmedien offerierten – heute erklärte Feinde des PRD-Politikers), setzte der Regierungschef von Mexiko-Stadt sein Zeichen auf die Tagesordnung von Los Pinos . . . und die übrige politische Klasse. Auch in der abgelegensten Ecke des Landes, war man darüber informiert was Fox gesagt hatte (also schön, wenn er es schaffte etwas verständlich auszudrücken), was AMLO gesagt hatte, und später am Tag, was das übrige Ensemble der mexikanischen Politik zu den Äußerungen des Regierenden von D.F. zu sagen hatte. Fox schien damit kein allzu großes Problem zu haben … Anfangs. In einer Fernsehsendung zeigte sich López Obrador bestürzt über die plötzliche Feindseligkeit des „señor presidente“ (man erinnern sich an das: „wir müssen das Präsidentenamt bewahren“). „Wir waren doch Freunde, ich weiß nicht was mit ihm passiert ist“, sagte AMLO darauf. Gut, was passiert war, ist dass das „Präsidentenamt“ bereits einem Gespann gehörte: dem von Vicente Fox und Martha Sahagún. Und „señora Martha“, wie ihr Ehegatte sie nennt, wollte und will nicht die Frau des Präsidenten sein, sondern die „Frau Präsidentin“.
Wenn das an ein gewisses Theaterstück erinnert, so ist das kein Zufall. In der Komödie, die tagtäglich in Los Pinos aufgeführt wurde, spielte señora Sahagún stets die Hauptrolle (wenn auch nicht immer die erfolgreichste, man darf ja nicht zu anspruchsvoll sein). Doña Martha hatte ihre lange und jetzt nunmehr abgesägte Laufbahn zum Präsidentenstuhl schon sehr früh begonnen. Um genau zu sein, seitdem López Obrador als stärkster Anwärter auf die Bühne trat. Aber, während sie dabei war die (für sie) unbequemen Persönlichkeiten des Kabinetts und des Kreises um Vicente Fox aus dem Weg zu räumen, sah Martha mit Verzweiflung, dass AMLO sich hielt. Man brauchte nicht viel Verstand (was sie sowieso nicht haben) um zu erkennen wer señora Marthas Rivale sein würde, wenn sie die Kandidatin der Nationalen Aktionspartei (PAN) wäre.
Das Manöver mit den „Videoskandalen“ war das erste Anzeichen eines ernsthaften Gefechts, um AMLO aus der Präsidentenlaufbahn zu drängen. Das Gefecht wurde zur Schlacht mit dem Versuch des Desafuero. Wenn in der Sache mit den Videos die Hand der Fox-Regierung zu erkennen war, so hatte man beim Desafuero bereits jegliche Hemmung verloren. Eine wachsende Bürgermobilisierung (die von López Obrador deaktiviert wurde) versetzte Fox eine überwältigende Niederlage. Aber in der Politik gibt es keine entscheidenden Schlachten.
Währenddessen war López Obrador dabei eine Kandidatur aufzubauen, das heißt, ein Image. Natürlich reichte der privilegierte Balkon der Regierung von Mexiko Stadt dazu nicht aus, dafür hatte in der PRD die Figur von Cuauhtémoc Cárdenas Solórzano immer noch zu viel Gewicht. Aber die Regierung von D.F. bot nicht nur die Möglichkeit ins Scheinwerferlicht der Medien zu treten, sie bedeutete auch Geld, viel Geld. Und dieses Lied klingt sehr verlockend für die gesamte politische Klasse, nicht nur für die Parteispitze der PRD. Mit diskreter Geschicklichkeit machte sich AMLO daran die Sympathien (und die Kontrolle) des Apparats der Demokratischen Revolutionspartei (PRD) für sich zu gewinnen . . . und die eines wichtigen Sektors von Intellektuellen, Künstlern und Wissenschaftlern. Im ersten Fall durch Geld. Im letzteren, durch Gespräche und besondere Aufmerksamkeiten.
Kurzum, alles lief prima.
Es war zur gleichen Zeit, dass einige Informationsmedien einen Köder auswarfen, den der Lopezobradorismus mit ganz besonderer Begeisterung schluckte: die ersten Meinungsumfragen. Da er darin mit einem skandalösen Vorsprung vor allen anderen Aspiranten abschnitt, schenkte ihnen AMLO Glaubwürdigkeit und verbürgte sich für sie.
Von der Presse darin bestärkt und geschmeichelt, vergaß López Obrador ein Grundgesetz des sumpfigen Terrains der Medien: das Flüchtige und das Augenblickliche. Die Medien erschaffen Helden („und Heldinnen“, fügt Martita begeistert hinzu – ob das Diminutiv ein „h“ enthält oder nicht, überlasse ich Ihnen…) und Schurken („und Schurkinnen“, vervollständigt Elba Esther Gordillo) nicht nur in den Telenovelas, sondern auch auf der politischen Bühne. Aber so wie sie sie erschaffen, zerstören sie sie auch. Der anfangs „reife“, „umsichtige“ und „verantwortungsbewusste“ Regierungschef, verwandelt sich später in einen „verantwortungslosen“, „messianischen“ und „provokanten“ Politiker; und die Umfragen, die ihn oben zeigten, können ihn später auch nach unten ziehen.
Bei der Mobilisierung gegen das Desafuero, zeigte sich ein erster Hinweis auf die „Wesensart“ von Lopéz Obrador. Obwohl es offensichtlich war, dass viele der Menschen, die sich mobilisierten, dies gegen die Ungerechtigkeit taten und nicht weil sie ihn persönlich unterstützten, benutzte AMLO diese Bewegung, um seine Laufbahn zur mexikanischen Präsidentschaft offiziell zu beginnen. Als die Mobilisierung dann anfing eine Bewegung zu werden (in einigen Gruppen wurde das Interesse wach, tiefgehende Probleme aufzuwerfen, wie den Stellenwert der Wissenschaften, der Kunst, der Kultur, und vor allem der politischen Arbeit), und die Fox Regierung zurückwich, befahl López Obrador den Leuten nach Hause zu gehen.
Das Ziel das Desafuero aufzuhalten und AMLO auf den höchsten Gipfel der Welle zu tragen war erreicht worden, und er hatte sich verpflichtet, die Mobilisierungen aufzuhalten. Also tat er es.
Die Botschaft von López Obrador an die übrige politische Klasse (der er, nicht zu vergessen, angehörte) und an die Herren (und Damen) des Geldes war klar gewesen: „Ich bin nicht nur in der Lage eine große Mobilisierung einzuberufen, ich kann sie auch leiten, kontrollieren, dosieren . . . und anhalten.“
2. – AMLO’s Intellektuelle
Seit dieser Zeit begann sich in einem Teil des progressiven intellektuellen Milieus das heranzubilden, was wir als den gebildeten Lopezobradorismus kennen. Diese Tendenz würde die Einführung einer neuen Klassifizierung initiieren, um festzustellen wer zum politischen Mexiko gehörte und wer nicht; oder anders ausgedrückt, um zwischen zwei Kategorien zu unterscheiden: die Guten (jene, die AMLO unterstützen – das heißt, die „Sympathischen“ und „Beliebten“), und die Schlechten (jene, die AMLO nicht unterstützen – also laut Elenita*, die „Neidischen“). Jegliche Kritik oder Hinterfragung von López Obrador, also das über mehr hinausging als Gleichgültigkeit und Schweigen, wurde als ein Komplott der Reaktionären, von Carlos Salinas de Gortari, der finsteren Kräfte der Ultrarechten, des El Yunque oder des verhüllten Konservativismus gewertet. Wenn sie heute ein wenig „toleranter“ sind, werden die Kritiken an den Lopezobradorismus“ als „sektiererisch“, „marginal“, „extremistisch“, und „infantil“ beiseite gefegt.
Mit einer Hartnäckigkeit, die eines besseren Anliegens würdig gewesen wäre, etablierte dieser Sektor ein sektiererisches, intolerantes, despotisches und kleinliches Denken. Und das taten sie so wirkungsvoll, dass es zum führenden Denken der intellektuellen „Spiegel“ von López Obrador im Wahlkampf wurde, sowie später in der Widerstandsbewegung gegen den Wahlbetrug und, jetzt, in AMLOs CND.
Als die mexikanische Tageszeitung La Jornada, eine ihrer Ausgaben in August 2005 (anlässlich des ersten Vorbereitungstreffen der Anderen Kampagne) unter der Schlagzeile: „Sie sind entweder mit uns oder gegen uns“ (oder so ähnlich) veröffentlichte, lag sie zugleich richtig als auch falsch. Dieser Satz wurde nicht von Marcos ausgesprochen. Aber er wurde und wird seitdem ausgesprochen, und zwar vom gebildeten Lopezobradorismus.
Dieses Denken (das begann sich zu konsolidieren, als die Unterstützung der PRD für die indigene Gegenreform in Vergessenheit geriet) hatte dazu ermutigt die Augen und Ohren zu verschließen, als die PRD-Anhänger von Zinacantán im Hochland von Chiapas, zapatistische Unterstützungsbasen angriffen; und hat zugelassen, dass die Ermordungen der Menschenrechtsverteidigerin Digna Ochoa y Plácida, sowie des jungen Studenten Pável Gonzáles, von der PRD-Regierung von D.F. mit einer Schäbigkeit gehandhabt wurden, die später zu Routine werden sollte. In den Fällen von Digna und Pável, als sich zum Verbrechen auch noch die Herabwürdigung des Todes der sozialer KämpferInnen hinzugesellte, bewahrten ehrliche Stimmen das Schweigen . . . „um nicht der Rechten in die Hand zu spielen“. Der gebildete Lopezobradorismus feierte damit seinen ersten Triumph, illegitim wie alle weiteren, die er seitdem errungen hat.
Wenn die Sympathisanten, Militanten und Vorstandsmitglieder des PRD, dieser ganze intellektuelle Sektor und AMLO selbst damals schwiegen, stand zu erwarten, dass sie auch nichts sagen würden, wenn die Mörder von PRD-Militanten Kandidaturen unter der gelb-schwarzen Fahne antraten.
So war es aus.
Wer zu so etwas schweigt, schweigt zu allem. Das Gespenst des „Unnennbaren“, Carlos Salinas de Gortari, lauerte überall und alle Mittel waren recht um sich ihm entgegenzusetzen. Alle Mittel, sogar die Wiederaufbereitung ehemaliger Salinistas . . . in der PRD und im Kreis der Vertrauten von López Obrador.
Mit dieser autochthonen Modalität des „einzig möglichen Denkens“ kam ein neues Bewertungssystem, eine neue Waagschale: die gleiche Sache konnte unterschiedlich bewertet werden, je nachdem wer sie machte oder vorschlug. Wenn AMLO oder einer seiner Sympathisanten sie machte oder vorschlug, wurde der Handlung oder dem Projekt jede erdenkliche Tugend beigemessen; aber wenn es jemand war, der López Obrador kritisierte, wurde es zu einem Projekt der „dunklen Mächte“ der Ultrarechten.
Als wir darauf hinwiesen (in „Die Unmögliche Geometrie der Macht“), dass das Projekt von AMLO salinistisch war, schrieen die Intellektuellen zum Himmel auf (da oben sind sie jetzt noch, völlig aufgebracht). Aber als der Beauftragte des lopezobradorischen Wirtschaftsplans (Señor Ramírez de la O, Berater für Politwirtschaft – und laut einigen, der nächste Finanzminister, wenn AMLO die Präsidentschaft gewonnen hätte) einige Tagen vor den Wahlen erklärte, sein Vorhaben sei der „soziale Liberalismus“, ähnlich wie der von Carlos Salinas de Gortari, blickten die Intellektuellen in die andere Richtung.
Die wirkliche Rechte konnte mit all dem recht zufrieden sein. Einige ihrer Überlegungen und Vorhaben wurden bereits in das Umfeld der PRD übernommen: der „schändliche“ (und gescheiterte) Plan Puebla Panamá von Vicente Fox sollte seine Läuterung in AMLO’s Trans-Isthmus Projekt finden; die Bewilligung des so genannten „Televisa Gesetzes“ durch die PRD Fraktion der Abgeordnetenkammer war ein weiterer „taktische Fehler“; die kleineren Gesetze und Reglementierungen, ebenfalls von dieser Partei bewilligt, welche die Enteignung von indigenem Boden legalisierten, waren „nicht so schwerwiegend“; die zweideutige Beziehung zwischen López Obrador und dem Unternehmer Carlos Slim war „hohe Politik“; die Privatisierung des Historischen Zentrums von Mexiko Stadt war „Modernisierung“; die gigantische Investition in einer zweiten Umgehungsstrasse, die zu einer der reichsten Zonen von D.F. führt, während gleichzeitig die Investitionen in die öffentlichen Verkehrsmittel sanken, waren ein Beispiel von „guter Regierung“ (und nicht etwa eine Unterlassung des „die Armen zuerst“); der Schlag gegen die urbane Volksbewegung war „Ordnung durchsetzen“ . . . und der Caudillismo, der gehegt und kultiviert wurde, war . . . die „Heranbildung einer neuen Führung“.
Ohne auch nur irgendeinen Hinweis darauf zu finden, dass er das wäre, wurde verkündet, dass López Obrador ein Linker sei, weil . . . weil . . . na gut, weil er das selbst so sagte (schön, manchmal sagte er es, manchmal nicht, je davon abhängig mit wem er gerader sprach)
Der Kalender erreichte den 3. und 4. Mai, und der Tod und der Schmerz erreichten San Salvador Atenco und Texcoco, im Bundesstaat México. Die Umfragen sagten, dass man die Unterdrückung unterstützen oder schweigen musste. Fecal sagte, wie gut, wie großartig, genau was getan werden muss. Desgleichen Madrazo, der immer schwächer wurde. Auf der „linken“ Seite, applaudierte die PRD Fraktion im mexikanischen Kongress das Vorgehen der Polizei und unterstützte Peña Nieto. Was López Obrador betrifft . . . er bewahrte das Schweigen. Atenco wäre nützlich gewesen, wenn damit die Wahlen zu beeinflussen wären, aber die „Messsäulen“ in den Medien zeigten an, dass dies nicht der Fall war. Der gebildete Lopezobradorismus beschwerte sich ein wenig, ohne irgendeine Überzeugung und nur über das Nachspiel.
Es wurde auch vergessen, dass AMLO sich während seiner gesamten Kandidatur darum bemüht hatte, dem Unternehmersektor angenehm zu erscheinen. Wenn man die Reden und Erklärungen seiner Vor- und Wahlkampagne durchgeht, haben sie nichts mit dem zu tun, was er nach dem 2. Juli von sich gegeben hat. Immer wieder beharrte er den Politikern gegenüber: „es wird keine Rache geben“. Und dem Unternehmersektor sagte er wörtlich: „haben Sie keine Angst vor mir“. Das heißt: „ich werde weder ihr Eigentum, noch ihre Profitlage, noch die Sitten und Gebräuche der politischen Klasse anrühren“.
Um dies nicht zu sehen, bedurfte es schon einer sehr schweren Kurzsichtigkeit. Aber um dies zu sehen und dazu zu schweigen, bedurfte es eines Zynismus, der nie aufhören wird uns in Erstaunen zu versetzen.
Einige Zeit später, bereits während der Mobilisierung gegen den Wahlbetrug, erklärte López Obrador auf dem Zócalo von Mexiko Stadt, der Wahlsieg von Juan Sabines in Chiapas, habe dem Vormarsch der Rechten Einhalt geboten. Dass AMLO diese „läuternde“ (und nach links befördernde) Waagschale seinen Unterstützern gegenüber ausspielen würde, kann man noch durchgehen lassen, schließlich hat er sie ja erschaffen. Aber dass der gebildete Lopezobradorismus einem Schwachsinn solcher Tragweite mit Begeisterung applaudieren konnte, ist schlicht unbegreiflich . . . oder eine Kostprobe davon, wie weit der Kretinismus bereits fortgeschritten war. Dem „rechten Vormarsches Einhalt zu gebieten“ hatte die Wiederaufbereitung von Croquetas Albores bedeutet, und die jenes Finqueros, der einst den berühmten Ausspruch prägte, dass „in Chiapas ein Huhn mehr wert ist als ein Indio“ (Constantino Kanter). Wer das schluckt, schluckt alles. Und, wenn es im gebildeten Lopezbradorismo etwas in Überfluss gibt, dann sind es Mühlräder dieser Größenordnung.
In dieser „gesunden“ Atmosphäre von Diskussion und hochwertige Analyse, war der gebildete Lopezobradorismus beim Anbruch des 1.Juli nicht etwa dabei ein progressives Programm für bürgerliche Partizipation aufzuziehen (was ja den Parteien das Feld der politischen Arbeit streitig gemacht hätte), oder ein innovativer Vorschlag für Kunst, Kultur und Wissenschaften, sondern ein Slogan voller Hochmut und Überheblichkeit: „Lächeln, wir werden gewinnen“. Nein, sie riefen uns nicht dazu auf der Rechten Einhalt zu gebieten (klar, das hatten sie ja jetzt bereits schon erledigt). Sie riefen dazu auf, sich auf die Siegesfeier vorzubereiten (und das mit Mäßigung und Reife).
Ah! Es würde alles so einfach sein, so ganz ohne Mobilisierungen, ganz ohne Unterdrückung, ganz ohne Zusammenstöße, ganz ohne politische und ideologische Konfrontationen, ganz ohne Debatten, ganz ohne interne Kämpfe, ganz friedlich, ganz ruhig, ganz stabil, ganz ausgeglichen, ganz ohne Radikalismus, ganz ohne Kapitalflucht, ganz ohne Börsenkrach, ganz ohne internationalem Druck, ganz ohne irgendetwas wahrzunehmen, ganz ohne Klassenkampf, ganz – ganz.
Die Unterdrückung? Na gut, um die zu erdulden gab es ja die Andere Kampagne, Atenco, die „Indios“ und den „vulgären Pöbel“. Und man würde keine Blockaden der Hauptstrassen dulden, wie für die legitime Forderung nach Freiheit und Gerechtigkeit für die Gefangenen von Atenco, Als die Otra in Solidarität mit unseren Compañer@s Strassen blockierte, griff die Polizei von D.F. ein um „den ungehinderten Verkehr zu garantieren“. Dutzende Jugendliche, größtenteils Studenten der ENAH und der CCH Sur, wurden auf dem südlichen Ring verprügelt und mit Tränengas besprüht, und bis in das Gebäude der Landesschule für Anthropologie und Geschichte (ENAH) hinein verfolgt.
Der gebildete Lopezobradorismus sagte, dass gut, dass bravo, dass die Straßen, dass die Autos, dass Erlass Nr. 13 (erlassen von AMLO als er noch Regierungschef war), dass der ungehinderte Verkehr, dass die „Ultras“, dass die Ordnung, dass die Stabilität. Schließlich waren das ja nur ein paar Chamac@s (und wahrscheinlich würden sie sowieso nicht wählen oder hatten nicht einmal einen Wahlschein). Also, wie es Alaska und Thalía mal sagten, „wen juckt es?“.
Einige Zeit später, blockierte die Mobilisierung gegen den Wahlbetrug, in Ausübung des legitimen Rechts auf Ausdrucksfreiheit, die Reforma Zufahrt (ich glaube, so heißt sie). Als die Unternehmer und die „gut gestellten Menschen“ protestierten (trotz finanziellen Zuwendungen) und den Kopf des Regierungschefs von D.F. forderten, interviewte Elenita Poniatowska den belagerten Alejandro Encinas. Dieser erklärte, er müsse die Demonstrationsfreiheit respektieren und beschützen.
Vielleicht aus lauter Rührung über Encinas’ Leiden, „vergass“ Elenita ihn zu fragen, weshalb diese Freiheiten galten und respektiert wurden wenn es um AMLO Sympathisanten ging, und nicht wenn es sich um die Andere Kampagne handelte, oder die Bewegung der abgewiesenen Studenten, oder alle anderen Bewegungen, die auf solche Aktionen zurückgreifen mussten um gesehen und gehört zu werden. In dem „Vergessen“ des Interviewtem und der Interviewerin schwang deutlich mit: „es gibt ein Gesetz für die einen (die auf meine Seite sind), und ein anderes für die Anderen (die mich nicht unterstützen, mir nicht folgen oder gehorchen)
Aber in der Nacht vom 1. Juli träumte der gebildete Lopezobradorismus, dass das Land sich nur durch die Abgabe einer Stimme ändern würde. Und sie würden mit Bescheidenheit die Dankbarkeitsbezeugungen der Armen („Sieh nur, Töchterchen, da geht der Doktor spazieren, er hat den Herrn Präsidenten und seinen Sohn unterrichtet; und weiter drüben gehen die Leute, die wir auf der Tribüne gesehen haben. Lass sie uns grüßen, denn sie haben unsere Befreiung angeführt“), der Indios (aber nicht der ZapatistInnen, weil die ja bekanntlich undankbar sind), der Arbeiter, der Campesinos, der Frauen, der Jugendlichen, der Senioren, also, von ganz Mexiko über sich ergehen lassen. Und im Ausland würde es Konferenzen und Gesprächsrunden geben. Und der gebildete Lopezobradorismus würde zurückhaltend und bescheiden erzählen, was sie alles für Mexiko getan hatten . . . dazu mussten sie nur noch das Podium besteigen.
Aber der 2. Juli kam und mit ihm, die Gordillo. Und mit ihr … der Wahlbetrug.
3. – Die Mobilisierung gegen den Wahlbetrug.
Aber nach der anfänglichen Verwirrung und Forderungen nach dem Schafott um Marcos, die EZLN, die Andere Kampagne und alle die sich ihrer „Läuterung“ widersetzten auszutilgen, fingen diese Intellektuellen an zu merken was passiert war. AMLO bewies ein weiteres Mal, dass er intuitiver und intelligenter ist als der gebildete Lopezobradorismus. Er konnte gut abschätzen, dass eine Mobilisierung gegen den Wahlbetrug davon abhängig sein würde, was er sagte und tat … und er sagte und tat es. Daraufhin bildete sich eine authentische, legitime und gerechte Volksbewegung: die Mobilisierung gegen den Wahlbetrug, und folglich, gegen die Einsetzung von Felipe Calderón.
Es wurde behauptet, die Mobilisierung sei nicht das was sie vorgab und vorgibt zu sein. Es ist von Anfahrtskosten die Rede, von der dreisten und unverschämten Einmischung der Regierung von D.F. und der PRD-Struktur, davon, dass sie nie so viele gewesen wären wie behauptet wird. Das kann schon sein. Was nicht bezweifelt werden kann, jedenfalls nicht für uns Zapatisten, ist, dass es in dieser Mobilisierung ehrliche Menschen gegeben hat und gibt, die dort aus Überzeugung und Prinzipien gestanden haben und stehen. Sie verdienen und haben unseren Respekt, aber ihr Weg führt in eine Richtung, die wir nicht einschlagen möchten.
Wir teilen mit ihnen weder den Weg noch das Ziel.
Und unsere Art sie zu respektieren besteht darin, uns nicht in ihre Mobilisierung einzumischen, weder um AMLO seine unbestreitbare Führung streitig zu machen, noch um zu sabotieren, noch aus Opportunismus, noch um die Massen zu „ernüchtern“ (was einige der Argumente und Gründe mancher Organisationen sind, die sich daran beteiligen, obwohl sie mit der Leitung der Mobilisierung nicht einverstanden sind).
Die ehrlichen Menschen, die es dort wie wir wissen gibt, glauben es sei möglich die Mobilisierung in eine Bewegung zu verwandeln (mit dem Nationalen Demokratischen Konvent – CND), die nicht von einem Führer oder von der Kontrollstruktur abhängig ist, die den Konventteilnehmer aufgedrängt wurde. Das kann sein. Wie glauben es nicht, und außerdem denken wir, dass es nicht ethisch wäre auf eine Mobilisierung „aufzuspringen“ oder sie „auszunutzen“, für die wir nichts geleistet haben, und es wäre auch nicht mit einem kritischen Skeptizismus vereinbar.
Nun gut, über die Mobilisierung gegen den Wahlbetrug und den Versuch, sie mit dem CND in eine Bewegung zu verwandeln, sagen wir folgendes:
- AMLO’s „Gewissenhaftigkeit“ in Hinblick auf die Unrechtmäßigkeit der Institutionen tritt nur auf, weil sein Wahlsieg durch ein Betrug aberkannt wurde. Es wäre etwas anderes, wenn ihm der Sieg zum Präsidenten zuerkannt worden wäre.
- Das Nationale Demokratische Konvent (CND) lag dem lopezobradoristischen Denken nicht von Anfang der Mobilisierung an im Sinn. Andernfalls wäre die Protestbesetzung dazu genutzt worden, die verschiedenen Vorschläge zu analysieren, zu diskutieren und zu debattieren, die später am 16. September 2006 durch Zuruf abgestimmt worden sind. Das CND war und ist ein Weg die Protestbesetzung zu beenden und auf legitime Art den Aufbau einer Bewegung zu beginnen, um die Präsidentschaft in 2012 zu gewinnen . . . oder früher, wenn es gelingt Fecal zu stürzen.
- Dem CND wurde eine Direktion aufgedrängt, die beabsichtigt die Bewegung nicht nur zu führen, sondern sie zu kontrollieren. Es gibt darin nicht den mindesten Ansatz einer demokratischen Partizipation an Diskussionen und Beschlüssen, ganz zu schweigen von Selbstorganisation. Diese Direktion hat ihre eigenen Interessen und Kompromisse (obwohl das CND vereinbarte einige Firmen und Produkte zu boykottieren, erklärten einige Leiter, dass sie sich nicht daran halten würden – siehe dazu die Worte von Federico Arreola in der Tageszeitung Milenio am Tag nach dem CND.
- Die im Entstehen begriffene Bewegung des Lopezobradorismus zielt nicht auf eine Krise der Institutionen hin (die den Wahlbetrug geschmiedet und ausgeführt haben). Andernfalls hätten man beschlossen, alle bei diesen Wahlen gewonnenen Ämter auszuschlagen, was einen schwer zu bewältigenden Bruch herbeiführen würde. Das CND zielt auch nicht auf Autonomie und Unabhängigkeit hin. Im Gegenteil, ist es weiterhin der alten politischen Klasse verhaftet (jetzt umkonvertiert zur „Linken“)
- Die meisten, nicht alle, derjenigen, die zur Direktion des CND gehören, glänzen durch ihre Korruption, ihren Opportunismus und ihre Neigung zu Intrigen. Während sie einerseits die betrügerischen Institutionen „zum Teufel“ schicken, nehmen sie andererseits an ihnen teil (Gelder inklusive). Die Verhandlungen stehen an der Tagesordnung und es fehlt nur noch etwas Wichtiges: das Bundesbudget und das Budget von Mexiko Stadt.
- Der gebildete Lopezobradorismus richtet jetzt seine Angriffe gegen sich selbst, gegen jene, die AMLO zwar unterstützten, ihn jetzt aber kritisieren. Die internen Disqualifizierungen und Säuberungsaktionen werden zunehmen.
- Die Mobilisierung hatte und hat zweifellos Licht- und Glanzmomente: zum Beispiel, die Kreativität und Erfindungsgeist in den Aktionen zu Denunzierung einiger der Konzerne, die in den Wahlbetrug impliziert sind (Banken, Wall Mart etcétera); die entschlossene Teilnehme von Menschen von unten; die gerechte und legitime Wut gegen die Anmaßung der PAN und der Fox-Regierung, sowie gegen den beleidigende Geringschätzung die einige Massenmedien (Televisa, TV Azteca und die großen Senderketten), jenen zuteil werden lassen, die an der Mobilisierung teilnehmen.
4. – Unten . . . Und währenddessen, im unteren Mexiko . . . Die ehrlichen Menschen.
Unten befindet sich der größte Teil derjenigen, die sich gegen den Wahlbetrug mobilisiert haben. Jene, die wollten, dass AMLO Präsident wird, weil sie ihn gewählt und gewonnen haben. Jene, die das Recht verteidigen, demokratisch die Regierung zu wählen. Jene, die nicht wollen, dass sich 1988 wiederholt. Jene, die, ein gesundes Misstrauen gegen die Koalitionsgehörigen Apparate hatten und haben. Jene, die die bestehende Macht herausfordern, und das neoliberale System verändern wollen, das das soziale Gewebe zersetzt und das Land zugrunde richtet.
Oaxaca.- Das unten brach auch in Oaxaca hervor, und nahm Form und Weg in der Volksversammlung der Bevölkerung von Oaxaca (APPO) an. Die Veto Kapazität dieser Bewegung ist anerkennungswürdig gewesen. Es ist unerheblich, ob ihre Teilnehmer gewählt haben oder nicht (oder ob sie sich für die Koalition oder irgendeine andere parteiische Macht ausgesprochen haben). Das ist nicht wichtig, wichtig ist nur, dass sie ein Vertrauen in ihre eigenen Kräfte haben, die weit über ihre Anführer und Konjunkturen hinausgeht. Dieses Vertrauen hat es ihnen bis heute ermöglicht ihre Taktiken selbst zu bestimmen, ohne dem Druck von außen und den Ratschlägen der „Wohlüberlegten“ nachzugeben.
Als EZLN unterstützen wir diese Bewegung und versuchen durch die Compañer@s der Otra, die in ihr kämpfen, zu sehen und zu lernen. Unsere Unterstützung muss sich aus zwei Gründen darauf beschränken: Zum einen, weil es sich um eine Bewegung handelt, die in sich sehr komplex ist, und eine direktere Unterstützung könnte „Aufruhr“, Verwirrung und Argwohn hervorrufen. Zum anderen, weil die Bewegung der Bevölkerung von Oaxaca schon mehrmals beschuldigt worden ist, Verbindungen zu bewaffneten Gruppen zu unterhalten, und unsere direkte Präsenz könnte die Medienkampagne, die sie bereits schon gegen sich haben noch verstärken.
Die Otr@s. – Und abseits des hin und her der Politik von oben, wird eine andere Rebellion in den tiefsten Schichten der Gesellschaft errichtet: in den indigenen Völkern, unter den Jugendlichen, die von der Macht misshandelt werden (einschließlich der PRD), unter den Arbeitern in den Maquilas, unter den SexarbeiterInnen, unter den ungehorsamen Frauen, die mit der Furcht leben, dass ihre Ehemänner in den Norden emigrieren müssen, in den linken politischen Organisationen, die davon überzeugt sind, dass es noch etwas jenseits des Kapitals und der repräsentativen Demokratie existiert, unter all jenen, aus denen sich die Andere Kampagne zusammensetzt, die im ganzen Land leben, und eine andere Form der Politik der Beziehung zu ihren Gleichartigen-Verschiedenen organisieren und erfinden.
Die Andere Kampagne ist nicht das, was in den Medien über sie gesagt wurde, auch nicht das, was einige ihrer Teilnehmer von ihr behaupten, im Grunde, ist sie nicht einmal das, was die Sechste Kommission der EZLN über ihren Hergang erklärt hat. Sie ist viel mehr als das alles. Sie ist eine Sturzflut, die nach unten fließt, die noch nicht vollständig zum Ausdruck gekommen ist, die im Keller Mexikos existiert sich reproduziert.
Aber unten existieren auch Millionen von Menschen, die Mehrheit, die nicht gewählt hat. Die nicht an den Wahlen glauben (viele von ihnen, so wie wir Zapatisten, haben noch niemals aus Überzeugung gestimmt). Jene, die zum verachteten und erniedrigten Mexiko gehören (und die jetzt der gebildete Lopezobradorismus noch mehr verachten und erniedrigen will, indem er ihnen eine vermeintliche Niederlage zuschreibt). Viele von ihnen gehören zum Mexiko der indigenen Völker, die noch vor wenigen Jahren für ihren Kampfwillen und ihren Widerstand gepriesen wurden.
Mit diesen letzteren, mit jenen, die nicht nach oben blicken, sind wir Zapatisten. Und wir denken, dass sie diejenigen sind, mit denen die Andere Kampagne sein sollte.
Einige von unten, die sich in der Anderen Kampagne organisieren, haben nämlich unseren Schmerz und den Feind der ihn verursacht bereits identifiziert: der Kapitalismus.
Und wir wissen bereits zwei wesentliche Dinge: Zum einen, dass um diesen Kampf zu liefern, die Konstruktion einer autonomen und unabhängigen sozial-politischen Bewegung nötig ist. Und zum anderen, dass es da oben keine grundlegende Lösung gibt, weder für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die das mexikanische Volk quälen, noch für die Beschlagnahmung der Partizipation und Organisation der Bevölkerung durch die politische Klasse.
Wir, die Zapatisten der EZLN, haben uns vor einem Jahr dafür entschieden, eine antikapitalistische landesweite Bewegung voranzutreiben, von unten und nach links, die über der elektoralen Konjunktur steht – insofern als dass sie unabhängig davon bleiben konnte, wie sich jeder zu den Wahlen positionierte. Bis heute konnten wir vieles sehen und lernen. Von denen da oben, von der Otra, von uns selbst.
Wir denken dass, ob man sich über die Legitimität oder Popularität der Bewegung von Andrés Manuel López Obrador einig ist oder nicht, sie nicht der Weg der Anderen Kampagne ist, und vor allem, nicht das gleiche Ziel verfolgt wie wir Compañer@s in der Otra.
Wir, die Otra, suchen weder von jemandem geführt zu werden, noch jemanden zu führen. Und wir suchen nicht von oben zu erreichen was von unten aufgebaut wird.
Und Ihnen, unseren Compañeras und Compañeros der Anderen Kampagne, möchten wir ein Vorschlag unterbreiten . . .
(Fortsetzung folgt …)
Für das Geheime Revolutionäre Indigene Komitee – Generalkommandantur der
Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung
Sechste Kommission
Subcomandante Insurgente Marcos
Mexiko, September 2006.
* Elenita: Elena Poniatowska. Die berühmte mexikanische Schriftstellerin und AMLO Unterstützerin verkündete vor kurzem in der La Jornada (12.Sept.), Cuauhtémoc Cárdenas, Subcomandante Marcos und die unabhängige Kandidatin Patricia Mercado würden AMLO ihre Unterstützung nur aus Neid verweigern.
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