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Narco News Issue #39

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Marcos neue Politik auf dem Weg nach Quintana Roo - Mexikos neuestem Bundesstaat

“Wo es Ausbeutung gibt, wo es Erniedrigung gibt, wo es Diskriminierung gibt, dort wirst Du auch einen Zapatisten finden.”


Von Al Giordano
Der Andere Journalismus an der Seite der Anderen Kampagne in Quintana Roo

14. Januar 2006

In Erinnerung an Comandanta Ramona

Wenn Subcomandante Marcos am Samstag, den 14. Januar, auf seinem Motorrad nach Quintana Roo fährt, folgt er den Spuren der Mehrheit der über 800.000 Einwohner dieses jungen an der Karibikküste gelegenen Bundesstaates. Sie oder ihre Eltern sind in den letzten 30 Jahren in diese bis dahin von Maya-Fischern und -Bauern dünn besiedelte Region der Republik Mexiko eingewandert. Die explosionsartige Zunahme der Bevölkerung begann in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, nachdem die Regierung beschlossen hatte, eine verschlafene Kokosnuss-Plantage in das Touristen-Mekka Cancún zu verwandeln und Quintana Roo zum 31. Bundesstaat zu machen. Damals zählte Cancún 173 Einwohner. Heute liegt die Einwohnerzahlzahl bei einer halben Million, die Besucher der 27.000 Hotelzimmer nicht eingerechnet. Die Urlaubsorte, Einkaufszentren, Restaurants und Nachtclubs wurden von Einwanderern aus dem gesamten Süden Mexikos gebaut und auch das Personal wurde von dort rekrutiert. Viele dieser Arbeiterinnen und Arbeiter kamen aus derselben Region, aus der Marcos diese Woche anreist. Er ist – nur für kurze Zeit – der letzte Wanderer, der die heiße, staubige Straße von Chiapas nach Quintana Roo nimmt.


Aus der Video-Reportage: Delegate Zero Nears Quintana Roo („Delegado Zero kommt nach Quintana Roo“)
Hier wird Marcos die ganze Bandbreite der mexikanischen Gesellschaft zu Gesicht bekommen: riesige Touristenzentren in der Nähe verarmter Bauern- und Fischerdörfer, noble Eigentumswohnungen einen Golfballwurf entfernt von Plattenbauten und Hütten, die nur mit Dachpappe abgedeckt sind, zugewanderte Arbeitskräfte und relative Neuankömmlinge neben traditionellen Maya-Bauern, habgierige Bauunternehmer und Immobilienhaie konfrontiert mit landlosen Einwanderern, die sich organisiert haben, um ungenutztes Land zu besetzen und darauf ihre Häuser zu bauen, die Schönheit der Natur gegenüber Umweltzerstörungen und Menschen im Kampf um den Schutz von Land und Küste. Einfache und bescheidene Leute, die kämpfen, kann man überall in Mexiko finden, aber in dieser Provinz nimmt ihre Zahl täglich zu.

Während des viertägigen Besuchs des zapatistischen Kundschafters Delegado Zero (DelegierterNull, d.h. Subcomandante Marcos) – nächsten Sonnabend, Sonntag, Montag und Dienstag beginnend in Chetumal – werden ihm die Maya-Bauern aus Nicolas Bravo und anderen Städten den Stab des Anführers zum Geschenk machen und ihre Kräfte mit der „Anderen Kampagne“ vereinen. Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem an der Riviera Maya gelegenen Ort Colonia Colosia werden ihn um Hilfe bitten für ihren Kampf um strittige Landtitel gegen eine Regierung, die sie vertreiben will, um die Interessen reicher Bauunternehmer zu bedienen. Junge Leute aus Cancún werden dem Subcomandante ihre Probleme darlegen, die von wirtschaftlicher Not bis zu Repressionen durch die Polizei reichen, und werden ihm ihre Hand anbieten zum Aufbau einer neuen Art von Politik innerhalb der von den Zapatisten vorgeschlagenen nationalen antikapitalistischen Kampagne „von unten und von links“. Vielleicht kommen sogar ein, zwei internationale Touristen um einen Schnappschuss des maskierten Subcomandante und den Leuten, die um ihn sind zu ergattern: „Vivir, Delay-gay-to Zee-roh!“ Es wird sicherlich ein Beiprogramm geben, aber diese Tour wird definitiv kein Spring Break.

Ein Land von Einwanderern

Die Realität an der Küste von Quintana Roo ähnelt den kargen Szenerien aus John-Steinbeck-Romanen wie „Früchte des Zorns“ oder „Stürmische Ernte“, Geschichten über die Entbehrungen von Flüchtlingen, die in Scharen ins gelobte Land an der Küste strömen und lernen müssen, sich gegen Misshandlungen und Ungerechtigkeiten zu organisieren. Noch vor den mit großer Spannung erwarteten und für Juni geplanten Treffen in den Grenzstädten Ciudad Juárez und Tijuana mit Migranten, die in den Vereinigten Staaten leben, wird Marcos hier erstmals mit eigenen Augen sehen (und mit seinen eigenen Ohren hören), was sich an den Endpunkten des mexikanischen Exodus abspielt.

Hier wird Delegado Zero den Hunderten und Tausenden begegnen, die aus anderen Provinzen des mexikanischen Südostens an die Küste strömen, aus den ökonomisch verelendeten Städten in Chiapas, Tabasco, Campeche, Yucatán, Veracurz, Oaxaca und anderswo, auf der Suche nach Arbeit und neuen Möglichkeiten. Während andere Bundesstaaten in Mexiko einen Rückgang der Bevölkerung erleben, kommen ihre ehemaligen Einwohner tagtäglich in Quintana Roo an. Viele dieser Migranten unterstützen ihre Familien, indem sie einen Teil ihres Einkommens nach Hause schicken. Und hier, in ihrem eigenen Land, sind sie mit den gleichen Hindernissen und Schikanen konfrontiert wie ihre Brüder und Schwestern, die in den Vereinigten Staaten arbeiten.

„Die Wahrheit ist, dass es in meiner Stadt nur schlecht bezahlte Arbeit gibt. Deswegen müssen wir hierher kommen“, erklärte ein zugezogener Arbeiter aus Chiapas dem Team des Anderen Journalismus während seines freien Tages am Strand von Playa del Carmen letzten Sonntag. „Ich bin Bauarbeiter. Es gibt hier Gewerkschaften, aber da wir von außerhalb kommen, nutzen uns die Gewerkschaften nichts. Der Chef bezahlt uns nach Lust und Laune, ohne Krankenversicherung. Wir arbeiten von Montag bis Samstag, Señor. Heute ist mein freier Tag. Aber die Behörden berücksichtigen das manchmal nicht. Für uns fühlt sich sowieso niemand zuständig von denen da oben. Wir haben nichts. Señor, ich mache das hier aus der Not heraus, denn ich habe eine Familie. Ich mache, was der Chef von mir verlangt.“

Und was der Chef von ihm verlangt, ist bauen: die Ferienparadiese erstrecken sich jetzt bis zwei Stunden südlich von Cancún in die Riviera Maya, wie das Gebiet von den Werbefachleuten getauft wurde. Eine Küste gesprenkelt mit All-Inclusive-Anlagen, neuen Hotels, Themenparks, und anderen Touristen-Attraktionen.

„Viele Menschen aus Cancún arbeiten mittlerweile in der Riviera, während die Bauherren den Indigenen das Land nehmen, um Hotels zu bauen“, bemerkte Mauricio Ocampo Ocampo, ein Organisator der Anderen Kampagne in Cancún. „Dies ist ein strategischer Punkt für das Kapital zur Errichtung von Fabriken, da ausreichend Arbeitskräfte, Wasser und natürliche Ressourcen vorhanden sind. Außerdem gibt es hier viele Heilpflanzen und einen reichhaltigen Wissensschatz und damit Aussicht auf Patente.“

Das Zentrum der Riviera ist Playa del Carmen, eine Stunde südlich von Cancún. Vor dreißig Jahren ein Fischerdorf mit 1.600 Einwohnern zählt es heute bereits 143.000. „Die Bevölkerung soll Prognosen zur Folge in den nächsten fünf Jahren auf 400.000 anwachsen“, berichtete der Anwalt Julio Macossay von der Volkskulturbewegung (MCP abgekürzt auf Spanisch), ein Einwohner von Playa, der Delegado Zero am 16. Januar in seiner Wohnung beherbergen wird. „Die Bauarbeiter kommen aus Campeche und Veracruz, hauptsächlich aber aus Chiapas. Ihre Unterkünfte bestehen aus Dachpappe und haben keine sanitären Anlagen. Die Arbeiter schlafen in Hängematten. Sie werden in Chiapas angeheuert. Sie kommen nur an Sonnabenden in die Stadt, um ihre Einkäufe zu besorgen, Geld an ihre Familien zu überweisen und das Leben ein wenig zu genießen. Die Polizei nutzt sie aus. Wenn sie ein wenig betrunken sind, knöpft ihnen die Polizei das Geld ab, das sie nach Hause schicken wollen.“

Eine junge Frau aus dem Arbeiterviertel Colonia Colosia von Playa teilte den Korrespondenten folgendes mit: „Viele Touristen kommen während des Spring Break her. Sie können hier tun und lassen, was sie wollen, z.B. Scheiben einschmeißen, und niemand unternimmt etwas dagegen. Sie kommen, geben Geld aus und die Polizei beschützt sie. Wenn jedoch von uns jemand auch nur das Geringste anstellt, landen wir sofort im Gefängnis. Wir, die wir hier leben, haben keine Rechte, weder als Jugendliche noch als Arbeiter.“

„Meinem eigenen Sohn ist das passiert“, sagte eine andere Frau aus Colonia Colosio, wo zur Zeit die Hälfte der Einwohner von Playa lebt. „Wenn Jugendliche ein Bier trinken, nimmt die Polizei sie fest. Wenn Verbrecher auftauchen, rennt die Polizei weg. Gegen die gehen sie nicht vor. Aber wenn die einen armen kleinen Betrunkenen sehen, lassen sie ihn eine Strafe zahlen, und wenn er kein Geld hat, stecken sie ihn ins Gefängnis. Wenn aber ein Tourist betrunken ist, schauen sie weg, denn der bringt Dollars.“

Der Kontrast zwischen dem Leben der Touristen und der Mehrzahl der Einwohner ist real, aber er ist auch zu einem bequemen, allzu simplen Klischee für faule Reporter und Gutmenschen aus dem Norden geworden. Feststellen ließ sich dies während der Proteste gegen das Treffen der Welthandelsorganisation in Cancún 2003. Die Aktivisten, die von außerhalb kamen, protestierten, gaben ein wenig Geld im Ort aus und als sie schließlich wieder abzogen, hinterließen sie keinen tieferen Eindruck in der Region als irgendeine beliebige Reisegruppe. Cancún und die Riviera Maya werden in Radical-chic-Kreisen als banal, zu modern, nicht mexikanisch genug (was immer das bedeutet) verschmäht, als eine Art Disneyland auf Spanglish. Zusammengefasst: Die Region wird dem vorgefertigten Mexiko-Bild mancher Aktivisten – einschließlich vieler ausländischer Sympathisanten der Zapatisten – nicht gerecht.

Aber Delegado Zero wird in dem Chaos, Tumult und rasch fortschreitendem Wandel, in dem sich das Land befindet, voraussichtlich fruchtbaren Boden für seine Mission finden. Im Gegensatz zur politischen und sozialen Stagnation in der Haupstadt von Yucatán, Mérida, mit seiner „Göttlichen Kaste“ aufstrebender Oligarchen und katholischer Oberherren, seinen in Stein gemeißelten politischen Spaltungen und den vielschichtigen Hürden, die dem Aufbau einer vereinten Bewegung dort entgegenstehen (siehe Yucatán Awaits the Arrival of Zapatista Subcomandante Marcos), ist Quintana Roo ein Staat in Bewegung. Ähnlich wie die mexikanischen Immigranten in den Vereinigten Staaten oder in Mexiko-Stadt ist die Bevölkerung mit einer gehörigen Portion politischen Bewusstseins ausgestattet. Eine Eigenschaft, die sie mit vielen Migranten weltweit gemein hat.

Urbaner Zapatismus vs. Parteipolitik

Der Bau-Boom entlang der Riviera Maya südlich von Cancún begann mit dem Wiederaufbau nach den Verwüstungen, die Hurrikan Gilbert im September 1988 angerichtet hatte. Gilbert war der stärkste Wirbelsturm, der jemals über den Atlantik fegte, bis Wilma im letzten Oktober diesen Rekord brach. Immobilien-Spekulanten und Bauunternehmer nutzten die Lage nach dem Sturm aus und die Riviera Maya gelangte Stück für Stück in ihre Hände. Bauarbeiter kamen aus dem gesamten Süden Mexikos und viele von ihnen blieben in der Region. Mitte der 90er Jahre hatte die Zahl der Zuwanderer ohne Wohnraum oder Land krisenhafte Ausmaße angenommen.


Vor diesem Hintergrund entstand Colonia Colosio, ein größtenteils ungepflastertes Viertel, wo mittlerweile die Hälfte der Einwohner von Playa del Carmen lebt. Benannt wurde der Stadtteil nach dem Präsidentschaftskandidaten Luis Donaldo Colosio von der damals herrschenden Partei der institutionalisierten Revolution (PRI abgekürzt auf Spanisch). Er wurde 1994 während des Wahlkampfes in Tijuana erschossen. Im April 1994 besetzten mehr als tausend eingewanderte Arbeiter, ermuntert vom damaligen Gouverneur Mario Villanueva Madrid, 40 Hektar Land und begannen Häuser aus Schlackenbeton zu bauen. (Villanueva ist ebenfalls PRI-Mitglied und wartet bereits seit Jahren im Gefängnis auf ein Verfahren wegen des Verdachts auf Beteiligung am Drogenhandel.) Die Bevölkerung des Stadtteils ist im letzten Jahrzehnt exponentiell gewachsen. Julio Macossay spricht von der „am schnellsten wachsenden Gemeinde in ganz Lateinamerika“. Zur Zeit liegt die Einwohnerzahl schätzungsweise bei 70.000.

Fast zwölf Jahre nach der ersten Landnahme leben die Einwohner von Colonia Colosio im Ungewissen. Der ehemalige Gouverneur Villanueva gab ihnen Besitztitel für ihre kleinen in rechteckige Blöcke aufgeteilten und von staubigen (oder matschigen) Straßen durchzogenen Grundstücke. Doch Joaquín Hendricks Díaz, der im Jahr 2000 das Gouverneurs-Amt antrat, zweifelte diese Titel an. Unter dem derzeitigen Gouverneur Félix Gonzáles Canto sind die Verhältnisse noch staubiger und matschiger geworden: Apokryphe Besitztitel aus längst vergangenen Jahrzehnten mit den Namen reicher Bauunternehmer tauchten plötzlich auf. Diese beanspruchen nun das Land, das unter den Wohnungen tausender Familien in Colosio liegt.

„Der Boden hier ist nicht legalisiert. Sie wollen uns keine Besitztitel geben“, erzählte ein Mann in Che-Guevara-T-Shirt dem Video-Team vom Anderen Journalismus. „Die Regierung lässt die Straßen nicht reparieren. Sie macht überhaupt nichts in diesem Stadtteil.“

Eines der Hauptprobleme besteht in der Verquickung von Politikern der PRI und ihr angeschlossener Organisationen in den Streit um Grund und Boden. „Es war eine Landbesetzung, aber mit Hilfe der PRI,“ sagte eine Frau. „Ich habe kein Problem mit meinem Grundstück. Ich bin bei der PRI, seit ich ein Kind war, weil meine Eltern und Großeltern bei der PRI waren. Ich bin immer noch bei der PRI, als ob es meine Religion wäre.“

Einige der ganz großen Bauherren haben mit der PRI-Regierung des Bundesstaates angebändelt, um den Einwohnern dieser von harten Schicksalsschlägen betroffenen Gemeinde das Land unter den Füßen wegzuziehen. Die PRI hatte die Leute dazu gebracht, dass Land zu besetzen. Dieselbe Partei führt heute die Bemühungen an, ihnen dieses Land wieder zu nehmen. Dann gibt es noch Mitglieder der PRI, die von sich behaupten, den Kampf für den Schutz der Einwohner des Viertels zu führen.

Jetzt kommt die Andere Kampagne ins Spiel – ein Unterfangen, bei dem ausdrücklich alle politischen Parteien und ihre Anführer ausgeschlossen sind – und der Besuch des maskierten Subcomandante. Am nächsten Montag soll ein öffentliches Treffen auf dem Sportplatz in der Mitte von Colonia Colosio stattfinden. Für die Ankündigung des Ereignisses haben die Organisatoren bereits letzte Woche 10.000 Plakate und Flugblätter verteilt. Die Stimmung in der Gemeinde ist optimistisch: möglicherweise wird es einen massiven Andrang geben. Grundsätzlich ist die Meinung der Einwohner der Gemeinde über den Besuch des Delegado Zero sehr positiv.


„Es ist gut, dass er kommt,“ meinte ein Mann in Colonia Colosio, „denn er ist ein Mensch, der sich niemals für eine Regierung hergegeben hat. ... Für mich ist seine Ankunft das Beste, was passieren konnte.“

„Er soll kommen und uns sehr willkommen sein“, sagte ein Mann aus Chiapas namens Ezekiel, der sich als Präsident der Allianz der Arbeiter und Bauern von Solidaridad (so heißt der Landkreises, in dem Colosio und Playa del Carmen liegen.) zu erkennen gab. Er fügte hinzu, dass er wie viele der Immigranten nach dem (Ausbruch des Vulkans El Chichonal im Jahr 1982)http://www.mexicanmercados.com/yb/32erupts.htm von Chiapas nach Quintana Roo kam. Ezekiel, den wir in einem Geschäft für Haus- und Nutztiernahrung befragten, gehört nach eigener Aussage keiner politischen Partei an. „Eine Menge Leute brauchen mich. Niemand hat sie unterstützt, weder die Regierung des Bundesstaates noch die Zentralregierung. Viele Campesinos hängen von ihrem kleinen Stück Land ab, aber ohne Unterstützung schaffen sie es nicht. Wer hilft ihnen? Die Regierung des Staates? Die des Bundes? Niemand!“

„Er kämpft aus gutem Grund und wir sollten ihn unterstützen,“ kommentierte ein Einwohner von Colosio den anstehenden Besuch von Marcos. Dann relativierte er seine Stellungnahme: „Ob er oder (Präsidentschaftskandidat Andres Manuel) Lopez Obrador oder (Roberto) Madrazo, er hat das Recht auf Unterstützung. Wenn er in Chiapas gekämpft hat, dann hat er auch das Recht hierher zu kommen.“

„Wie gut, dass sie (die Zapatisten) kommen, denn ich weiß, dass diese Leute für das Wohl der Leute kämpfen, für das Wohlergehen von uns armen Leuten“, sagte ein Mann namens Oligario. „Sie kämpfen nicht für die Reichen. Sie kämpfen für die Armen. Seit dem sie begonnen haben, weiß ich über sie bescheid. Ich denke, es ist großartig, dass sie hierher kommen.“

Das zweischneidige Schwert der Prominenz

Die meisten Einwohner von Colosio, die vom Anderen Journalismus interviewt wurden, sehen der Ankunft des Subcomandante enthusiastisch entgegen. Genauso wie in anderen Teilen der Republik schlägt die Aufregung zeitweise in Fanatismus um. Der Name Marcos nimmt mythische Gestalt an, und der Prominenten-Kult wird zu einem zweischneidigen Schwert für Delegado Zero: Er hilft ihm, viele Leute anzuziehen, aber manchmal lenkt der Rummel um seine Person auch von seiner antikapitalistischen politischen Botschaft ab.

„Wie war noch sein Name? Marcos! Ich bewundere ihn“, sagte eine Frau in Colonia Colosio, die behauptete (und sie schien ihren eigenen Worten zu glauben), dass Delegado Zero praktisch ein Bewohner des Strandes von Playa ist: „Also, er ist sehr stattlich. Ich kenne ihn persönlich … er war im Hotel de Abby. Er ist ein guter Mensch. So Gott will, kommt er her und führt uns.“

Eine im Ausland lebende Hotelbesitzerin aus einem der Touristenorte an der Küste kontaktierte die lokalen Organisatoren der Anderen Kampagne. Sie bestand darauf, dass sie ihr ein privates Treffen mit Marcos vermitteln, und behauptete ebenfalls, ihn zu kennen. Woher? Sie sagte, sie habe ihm seit mittlerweile zwölf Jahren unbeantwortete Liebesbriefe geschrieben.

Enlang der Riviera Maya, wo der Verkauf „indigener“ oder „schamanischer“ Erfahrungen an leichtgläubige Touristen eine Heimindustrie für viele Mestizen (Mexikaner mit europäischen und indigenen Vorfahren) und sogar einige Fremde geworden ist, erklärten verschiedene Gruppen und Individuen, die derlei New-Age-Geschäft betreiben, ohne die Veranstalter zu Fragen, dass sie kommen werden, um „Marcos eine spirituelle Reinigung“ zu verpassen oder um eine „rituelle Zeremonie“ für ihn zu vollführen. In ähnlicher Manier haben mehr als nur ein paar Hotel- und Restaurantbesitzer darum gebeten, dass Marcos bei ihnen übernachtet oder essen geht, um die Bekanntheit ihres Etablissement zu steigern. Hier im El Dorado der Tourismus-Branche, lässt der Besuch von Marcos bei vielen die Dollarzeichen in den Augen aufblitzen. Hinzu kommen noch einige Umweltschützer, die Delegado Zero überreden wollen eine Delphin-Maske als Zeichen der Solidarität mit ihrer Sache zu tragen. In Quintana Roo möchte sich wohl so mancher in der Anderen Kampagne vordrängeln gegenüber den einfachen und bescheidenen Leuten, die kämpfen und für die Marcos herkommt.

Einfache und bescheidene Leute, die kämpfen

Dennoch wird Delegado Zero entlang der Küste viele gewöhnliche Leuten treffen, die vor außergewöhnlichen Kämpfen stehen. In dieser Region, in der ein Sprechendes Kreuz im alten Maya-Zentrum Chan Santa Cruz (heute Felipe Carrillo Puerto, an der Straße zwischen Chetumal und Playa del Carmen gelegen) den Kasten-Krieg in der Mitte des 19. Jahrhunderts auslöste, gehören zu diesen Leuten viele authentische und lebendige Maya-Gemeinden, die dem Subcomandante ihre Geschichten erzählen wollen.

Der Archäologe Fernando Cortés de Brasdefer von der Anderen Kampagne in Chetumal erklärte den Anderen Journalisten: „Es gibt hier eine Menge Enthusiasmus, den ihr in der Hauptstadt nicht sehen könnt, aber in den indigenen Gemeinden, die sich auf den 15. vorbereiten. Wir sind sehr gespannt, wie die Landbevölkerung reagiert, denn anders als die politischen Parteien versuchen wir sie nicht mit tortas (Snacks), T-Shirts, Baseball-Mützen oder anderen Tricks anzulocken.“

„Hier leben verschiedene indigene ethnische Gruppen, die in verschiedenen Epochen nach Quintana Roo gekommen sind, friedlich nebeneinander“, erläutert Cortés, der zu den lokalen Organisatoren der Anderen Kampagne gehört. „Einige sind in der Ära (des populistischen mexikanischen Präsidenten) Lázaro Cárdenas (in den 20ern und 30ern des 20. Jahrhunderts) gekommen, Indigene auf der Suche nach Land. Und Tausende kamen in den 70ern als das Gebiet zu einem Bundesstaat wurde. Damals lebten hier vielleicht 200.000 Einwohner. Ganze Städte aus Chiapas, insbesondere von der Chol-Ethnie, sind hier und warten auf die Ankunft: Choles, Tzeltales, Tzotziles, außerdem Nahuatls, Totonacos, insgesamt etwas zwölf verschiedene Gruppen. Und die Mestizen sind auch kampfbereit. Die meisten haben sich politischen Parteien angeschlossen. Aber egal welche politische Richtung sie eingeschlagen haben, alle wollen dem Subcomandante zuhören.“

Im südlichen Quintana Roo erwarten Delegado Zero zwei heiße Eisen, die durch seinen Besuch ins nationale und internationale Rampenlicht rücken könnten. Da ist zum Einen der Widerstand indigener Gemeinden gegen die wirtschaftliche Erschließung archäologischer Zonen. Der Archäologe Cortés sagte dazu: „Eine große Anzahl Leute ist dabei, Land innerhalb der archäologischen Zonen aufzukaufen. Einige Staatsbedienstete machen dabei mit, weil sie wissen, dass dies die wichtigste Touristenregion und die zweitwichtigste Wirtschaftsregion des Landes ist. Die Regierungen des Bundes und des Staates unterstützen ein Gesetz von (Präsident) Fox, dass den privaten Besitz dieser Ländereien erlaubt.“

Die andere explosive Angelegenheit in dieser Stadt an der Grenze zu Belize ist der geplante Ausbau des internationalen Flughafens von Chetumal. Der hiesige Flugplatz wurde während des Zweiten Weltkrieges gebaut, zusammen mit einem weiteren auf der nahegelegenen Insel Cozumel, beides militär-strategisch wichtige Orte. Die indigenen Bauern, die für den Bau von ihrem Land vertrieben wurden, hatten damals keinen Centavo Entschädigung erhalten. Der von der Regierung geplante Ausbau des Flughafens von Chetumal im Rahmen des Plan Puebla Panama (ein Versuch des Kapitals, die Menschen und natürlichen Ressourcen sowie die Transportrouten in Mexiko und Zentralamerika besser ausbeuten zu können) trifft diesmal auf den Widerstand der indigenen Gemeinden. „Die Campesinos bestehen darauf, dass ihnen ein fairer Preis für ihr Land bezahl wird. Das war keine leichtzunehmende Angelegenheit für den letzten Gouverneur, noch ist sie es für den jetzigen,“ bemerkt Cortés.

Die Hauptstadt Chetumal ist seit langem eine Hochburg der PRI, aber „gerade jetzt ist Chetumal sehr emotional und enthusiastisch, besonders in den Maya-Gebieten“, erzählte uns Lorena Romano von der hiesigen Anderen Kampagne. „Jeden Tag kommen mehr und mehr Leute zusammen für den Besuch.“

„Hier“, erklärte Cortés, „fühlten sich die Leute sehr bedroht von der PRI. Aber sogar die Leute von der PRI wollen mit Marcos sprechen. Sie sind interessiert. Wir denken, dass eure Anwesenheit als internationale Presse sehr wichtig ist. Ihr gebt uns moralische Unterstützung. Manchmal werden unsere Leben bedroht. Mich selbst haben sie bedroht. Zum Glück hat die Presse über alles berichtet und zur Zeit ist es für uns nicht gefährlich. Gewöhnliche Leute kommen, bringen Wasser und Nahrung, und aus den Städten aus denen wir die wenigsten Rückmeldungen erwartet hätten, kamen die meisten. Dies ist eine friedliche Veranstaltung. Sie müssen uns zuhören, weil ihr da seid. Eure Anwesenheit ist äußerst wichtig.

Möglicherweise wird Marcos Besuch in dieser und anderen Regionen den Leuten die Angst nehmen. Ähnliches passierte in Chiapas nach der Rebellion von 1994. Und Menschen ohne Angst (oder nach Marcos: Menschen, die ihre Angst kontrollieren) können uneingeschränkt nach Veränderungen streben.

Cancún – die junge Metropole

Ausgehend von den alten indigenen Gemeinden erreicht die Andere Kampagne auch die jungen Leute in der jungen Metropole Cancún. In einem Arbeiterviertel von Cancún besuchten die Reporterinnen und Reporter vom Anderen Journalismus das Rincón Rupestre. Das zehn Jahre alte, baufällige Gebäude dient als Kulturzentrum und Heimstätte für Familien. Dort trafen die Journalisten um zehn Uhr abends auf zwei Dutzend Mitarbeiter der Anderen Kampagne, die mit den Vorbereitungen für den Besuch des Delegado Zero beschäftigt waren.

„Wir lernen gerade, Politik auf ethische Weise zu betreiben, ohne Führer“, erklärte Mauricio Ocampo Ocampo, einer der Medienkoordinatoren der Anderen Kampagne. „Wir lernen zu reden und wir lernen zuzuhören.“

„Wir leben an einem Ort, an dem es viel Reichtum gibt, aber auch sehr viel Armut, da die Löhne hier geringer sind als im Rest der Republik,“ sagte ein anderer junger Mann.

Ein bedeutendes Thema hier in Cancún, genauso wie in Playa del Carmen, ist die Ungleichbehandlung vor dem Gesetz und die Polizei-Repression gegen die Einheimischen.

„Hier in Cancún weiß jeder, wo mit Drogen gedealt wird, wer sie verkauft, wer in Landbetrügereien verwickelt ist“, kommentierte ein junger Mann. „Die Polizei weiß es, denn es gibt Verbindungen zwischen der Polizei und den Dealern. Jeder weiß es, aber niemand unternimmt etwas.“

„Dies ist ein Paradies für Päderasten“, kommentierte ein anderer das Phänomen des Pädophilie-Tourismus. „Die stehen unter dem Schutz der Polizei.“

„Nach dem Hurrikan haben viele Leute, die auf dieser Seite leben, ihre Häuser verloren“, ergriff eine junge Frau das Wort. „Die politischen Parteien haben sich die Hilfsgelder unter den Nagel gerissen. Jetzt geben sie endlich die Materialien her, die sie bisher zurückgehalten haben, aber nur im Austausch für Wählerstimmen.“

Die Unzufriedenheit, der Ärger, die Nichtkonformität und die Beschwerden hier in Cancún spiegeln die Stimmung aus allen Ecken der Republik wider. Und die Jugendlichen aus dem Kulturzentrum, die mit Ernst und Sorgfalt die Kommuniqués der Zapatisten studieren, um eine neue Art der Politik zu erlernen, sind genauso mexikanisch wie andere. Mexiko – auch wenn Mexikaner und Ausländer es offenbar nicht wahrhaben wollen – ist auch Cancún und die Riviera Maya.

„Wo es Ausbeutung gibt, wo es Erniedrigung gibt, wo es Diskriminierung gibt“, meinte Ocampo „da findest Du auch einen Zapatisten.“

„Die Zapatisten sind nicht nur die im Dschungel“, sagte Cortés von der Anderen Kampagne unten an der Küste in Chetumal. „Auch diejenigen, die keinen Platz zum Schlafen haben, die nichts zu essen haben, die keine Medikamente haben, sind Zapatisten.“

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