The Narco News Bulletin |
August 15, 2018 | Issue #41 |
narconews.com - Reporting on the Drug War and Democracy from Latin America |
|
CUERNAVACA, MORELOS, MEXICO; 10. APRIL 2006: An diesem Morgen erschienen in einer der nobelsten Straßen Cuernavacas vierzig Einsatzkräfte des Bundesstaates - ausgerüstet mit Helmen, Schilden, Schlagstöcken, zehn Pferden und schwerer Artillerie. Ihre Absicht: eine kleine Gruppe von Umweltschützern aus dem Weg zu räumen, die sich an Bäume gekettet hatten. Die Umweltschützer wehren sich gegen den Bau eines Einkaufszentrums und einer neuen Schnellstraße, die über eine schmale Schlucht am Ende der Sackgasse Acapatzinco-Ecke führen soll. Um elf Uhr vormittags, war eine richterliche Anordnung ausgelaufen, die das Fällen eines 200 Jahre alten Baumes verhinderte. Gemäß der heiligen Tradition des Bundesstaates, sozialen Protest mit Gewalt zu unterdrücken, brachte die Polizei zwei Krankenwagen mit, um zu zeigen, wie sie sich den weiteren Verlauf der Ereignisse vorstellte.
Umweltschützerinnen ketten sich an einen Baum in Cuernavaca. Foto: D.R. 2006 Sarahy Flores Sosa |
Irgendwo in den Eingeweiden der mexikanischen Geheimdienste begannen die Telefonleitungen zu glühen. Marcos hatte die 55 Mitarbeiter der alternativen Medien und den Rest seiner Begleitkarawane benachrichtigt, dass ein für diesen Morgen geplantes Treffen mit Unterstützern in Tetelcingo (Morelos) ausfällt, und dass alle nach Acapatzingo kommen sollen - an diesem Tag, an dem vor 87 Jahren der General Emiliano Zapata Salazar ermordet wurde; der Revolutionär, nach dem Marcos Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung benannt ist.
Plötzlich erhielten die Einsatzkräfte der Polizei und die Fahrer der Krankenwagen die Nachricht, dass Marcos kommt.
„Sie rannten wie aufgescheuchte Hühner", schilderte einer der Umweltschützer später am Morgen - immer noch an einen Baum gekettet.
„Die Andere Kampagne hat uns gerettet", sagte ein weiterer Baum-Freund dem Anderen Journalismus.
Obwohl Cuernavaca für sich selbst mit dem Motto „Land des ewigen Frühlings" wirbt, hat die Stadt mit erheblichen Wasser- und Umweltproblemen zu kämpfen; hauptsächlich wegen des schnellen, ungesteuerten Wachstums, das den Kräften des „freien Marktes" überlassen wurde. Insbesondere nach dem Erdbeben in Mexiko-Stadt im Jahr 1985 zogen viele von denen, die es sich leisten konnten, die Hauptstadt zu verlassen, ein Stück weit nach Süden hier her. Während seiner Reise durch diesen Bundesstaat hörte Marcos viele Bürger aus verschiedenen Gemeinden immer wieder von einem Problem berichten: dem Verschwinden der Wälder (und damit auch der Wasservorräte). Außerdem hörte er Beschwerden darüber, dass die „Entwicklung" und der „Fortschritt", den die Politiker und Geschäftsleute anpreisen, nur mehr Armut, Umweltzerstörung und menschliches Leid gebracht haben.
Die Filmaufnahmen der authentischen Journalistin Karla Garza Martínez zeigen den plötzlichen Rückzug der 40 Polizisten um 10:40 Uhr. Sie schwangen ihren Hintern auf ihre Transporter beziehungsweise ihre Pferde und eilten zur nahe gelegenen Polizei-Akademie, verfolgt vom Geländewagen der Reporter.
Kurze Zeit später verließ der aufständische Subcomandante Marcos Ocotepec in Begleitung von sieben Fahrzeugen, darunter auch dasjenige der acht Reporter vom Anderen Journalismus. Auf der Straße schlossen sich in Höhe der Latino Universität von Cuernavaca einige Dutzend Fahrzeuge der Karawane an, die eiligst aus Tetelcingo (wo der Delegierte der Zapatisten einen Termin mit Verbündeten abgesagt hatte) zurückgekehrt war. Sie fuhren gemeinsam weiter auf dem „Highway der Sonne", der Mexiko-Stadt mit Acapulco verbindet und durch Cuernavaca verläuft, wobei sie von vier Geländewagen der Bundespolizei und mehreren ungekennzeichneten Polizeifahrzeugen verfolgt wurden. An der Abfahrt „Los Tabachines" verließ die Karawane die Autobahn, bog nach rechts ab und kam nach einigen Kilometern am Ende der Sackgasse an.
Der Pfeife rauchende maskierte Mann, der als Delegado Zero bekannt ist, sprang aus seinem Wagen, gefolgt von einem Schwarm Fotografen, Kameraleuten, Reportern und Unterstützern, und schloss sich der Besetzung an. Ohne eine Wort zu sagen, hörte er den Protestierenden zu, und setzte sich dann wieder in seinen Wagen.
Die Meldung verbreitete sich wie ein Lauffeuer: „Marcos wird nicht gehen, bevor ein Gericht den Abbruch des Projektes anordnet", sagten mehrere Mitglieder des Organisationskomitees der Anderen Kampagne in Morelos und verschiedene Kollegen der Karawane. Ebenso wie das morgendliche Treffen in Tetelcingo wurde auch das Treffen in Cuautla, wo General Zapata beerdigt ist, abgesagt.
Ankunft der Bauern aus San Salvador Atenco. Foto: D.R. 2006 Nives Gobo |
Auf einmal wurde aus einer Sackgasse in einer wohlhabenden Nachbarschaft von Cuernavaca das Epizentrum der Anderen Kampagne. An diesem Tag, an dem Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen Mexikaner, die in den Vereinigten Staaten leben, auf die Straße gingen, taten es ihnen ihre Landsleute zu Hause gleich. Diese zwei Geschichten gehören zusammen. Zapata lebt, heute in den Straßen der USA und in einer Sackgasse in Cuernavaca.
Marcos und die Andere Kampagne der Zapatisten haben dem Staat und seinen Sponsoren aus dem privaten Sektor den Fehdehandschuh hingeworfen. Die Rebellen gaben sich nicht mit dem Rückzug der 40 Einsatzkräfte des Bundesstaates zufrieden und verlangten den Abbruch des Bauprojekts bestehend aus Straße und Einkaufszentrum. Als die Nacht hereinbrach, richtete der Subcomandante das Wort an die Menge, die sich zur Verteidigung der Schlucht versammelt hatte.
„Wir müssen das Blut Emiliano Zapatas in unsere Adern wieder zum Kochen bringen", sagte Marcos. „Wie er, wollen wir nicht die Macht ergreifen, sondern uns mit den einfachen und bescheidenen Leuten erheben und eine Bewegung von unten aufbauen, um die bösen Gouverneure zu besiegen, unser Land von den kapitalistischen Kriminellen zu befreien, und mit dem Bau einer neuen Heimat zu beginnen, eines neuen Landes, eines anderen Mexikos ..."
„Heute sagen wir - die Andere Kampagne - Euch, dass wir Emiliano Zapata brauchen, dass wir uns gegen die Wohlhabenden und ihre Diener erheben müssen, dass wir mit unseren eigenen Händen zurückholen müssen, was uns gehört."